Installation - Jörg Umrath beschäftigt sich in der Stadtbibliothek mit der vertrackten Dimension der Zeit
Guckloch in die Welt der Wandlungen VON ARMIN KNAUER REUTLINGEN. Ein mit halb transparenter Folie abgedichteter Raum. Links und rechts je drei kleine, unscharfe Bilder. Vorne und hinten zwei Projektionen: Auf der einen rast eine Bordsteinkante durchs Bild. Gegenüber treiben träge Wolkenfetzen. So findet der Besucher die Installation vor, die der Reutlinger Jörg Umrath auf der Podestgalerie in der Reutlinger Stadtbibliothek aufgebaut hat. »Aha«, denkt er dann vielleicht, »die alte Kiste: Mensch versus Natur, organisches versus technisches Prinzip.« |
Jörg Umraths Installation »Fluss« lässt im wahrsten Sinne des Wortes tief blicken. Die Installation ist bis 6. September in der Reutlinger Stadtbibliothek zu sehen.
GEA-FOTO: KNAUER |
Und schon ist er reingefallen. Denn der plakative Gegensatz von blauem Himmel hier und grauem Asphalt da ist nur der Speck, mit dem Umrath den Besucher auf die falsche Fährte lockt. Denn nichts sonst an seinem Aufbau stützt diese These. Nicht der »Käfig« aus halb transparenter Folie. Nicht die kleinen verschwommenen Landschaftsansichten auf Leinwand. Nicht die zwei rechteckigen Gucklöcher in der Folie, die man erst auf den dritten Blick bemerkt.
Und im Grunde auch die beiden Projektionen nicht. Denn die Wolken werden von unscharf abgebildeten Zweigen so verwirrend überlagert, dass sich das Naturidyll schon bald in ein Vorder- und Hintereinander treibender Schlieren auflöst. In der anderen Projektion verwandeln sich Bordstein, Asphalt und Fahrbahnmarkierungen durch die Bewegungsunschärfe in ein vibrierendes Streifenmuster - zumal die Ansicht um 90 Grad gedreht ist, sodass alle Elemente von oben nach unten durchs Bild fliegen.
Je länger man hinschaut, desto mehr ähneln die Projektionen abstrakten Gemälden, die vor allem durch eins bestimmt sind: den Faktor Zeit. Erst die Zeit als Prozess und Bewegung produziert Schlieren hier und Streifen da. Man könnte auch sagen: Zeit als »Fluss« - genau so heißt nämlich die Installation. Zeit als Fluss bewirkt aber auch, dass sich diese »Gemälde« ständig selbst neu erfinden: Asphaltgrau verwandelt sich in Randstreifengrün, Schlierenmuster trüben ein und hellen auf.
Zeit ist Bewegung und erst die Bewegung gibt den Dingen in dieser Anordnung ihre Struktur. Die kleinen Bilder an der Wand entpuppen sich bei näherem Hinsehen als auf Leinwand übertragene Video-Standbilder - wobei eine massive Bewegungsunschärfe die Aufnahmen in abstrakte Lichtspiele verwandelt hat.
Die Gucklöcher in der Folie umrahmen Durchblicke, die ihrerseits als abstrakte Bilder gelesen werden können: ein Rechteckraster aus Fensterstreben und Regalen, von der Diagonalen eines Stahlträgers durchschnitten, das sich mit dem Standpunkt des Betrachters verwandelt.
Bleibt noch der Käfig selbst: Die halb transparente Folie lässt das Draußen milchig durchschimmern. Fenster und Nischen, Regale und Träger sind als solche nicht zu erkennen, doch ihre geometrischen Grundformen zeichnen sich ab, als helle und dunkle Rechtecke, als Vertikalen und Horizontalen. Die auf den ersten Blick monoton graue Folie ist auf den zweiten Blick eine abwechslungsreich rhythmisierte Fläche, ein abstraktes Gemälde, das sich über vier Wände zieht. Und auch dieses Gemälde ändert seine Struktur mit jedem Schritt, den der Besucher durch Raum und Zeit tut.
So entpuppt sich nach und nach die gesamte Anordnung als eine Apparatur der Verwandlung. Eben noch hat der Betrachter sich von ziehenden Wolken verwirren lassen - und plötzlich verwandeln sich banale Dinge wie Asphalt und Plastikfolie vor seinen Augen in abstrakte Kunstwerke. Nur durch die vertrackte Wirkung der Zeit. (GEA)
Und im Grunde auch die beiden Projektionen nicht. Denn die Wolken werden von unscharf abgebildeten Zweigen so verwirrend überlagert, dass sich das Naturidyll schon bald in ein Vorder- und Hintereinander treibender Schlieren auflöst. In der anderen Projektion verwandeln sich Bordstein, Asphalt und Fahrbahnmarkierungen durch die Bewegungsunschärfe in ein vibrierendes Streifenmuster - zumal die Ansicht um 90 Grad gedreht ist, sodass alle Elemente von oben nach unten durchs Bild fliegen.
Je länger man hinschaut, desto mehr ähneln die Projektionen abstrakten Gemälden, die vor allem durch eins bestimmt sind: den Faktor Zeit. Erst die Zeit als Prozess und Bewegung produziert Schlieren hier und Streifen da. Man könnte auch sagen: Zeit als »Fluss« - genau so heißt nämlich die Installation. Zeit als Fluss bewirkt aber auch, dass sich diese »Gemälde« ständig selbst neu erfinden: Asphaltgrau verwandelt sich in Randstreifengrün, Schlierenmuster trüben ein und hellen auf.
Zeit ist Bewegung und erst die Bewegung gibt den Dingen in dieser Anordnung ihre Struktur. Die kleinen Bilder an der Wand entpuppen sich bei näherem Hinsehen als auf Leinwand übertragene Video-Standbilder - wobei eine massive Bewegungsunschärfe die Aufnahmen in abstrakte Lichtspiele verwandelt hat.
Die Gucklöcher in der Folie umrahmen Durchblicke, die ihrerseits als abstrakte Bilder gelesen werden können: ein Rechteckraster aus Fensterstreben und Regalen, von der Diagonalen eines Stahlträgers durchschnitten, das sich mit dem Standpunkt des Betrachters verwandelt.
Bleibt noch der Käfig selbst: Die halb transparente Folie lässt das Draußen milchig durchschimmern. Fenster und Nischen, Regale und Träger sind als solche nicht zu erkennen, doch ihre geometrischen Grundformen zeichnen sich ab, als helle und dunkle Rechtecke, als Vertikalen und Horizontalen. Die auf den ersten Blick monoton graue Folie ist auf den zweiten Blick eine abwechslungsreich rhythmisierte Fläche, ein abstraktes Gemälde, das sich über vier Wände zieht. Und auch dieses Gemälde ändert seine Struktur mit jedem Schritt, den der Besucher durch Raum und Zeit tut.
So entpuppt sich nach und nach die gesamte Anordnung als eine Apparatur der Verwandlung. Eben noch hat der Betrachter sich von ziehenden Wolken verwirren lassen - und plötzlich verwandeln sich banale Dinge wie Asphalt und Plastikfolie vor seinen Augen in abstrakte Kunstwerke. Nur durch die vertrackte Wirkung der Zeit. (GEA)